Review: Lauffest am Seilersee
Ich kann gar nicht anders, als diesen Titel ein zweites Mal zu verwenden. Das Team um Bernd Nuß und Stefan Weigelt sollte sich ernsthaft überlegen die Vokabel Fest in den Titel aufzunehmen. Der Ausdruck trifft es bestens.
Ich kam zu diesem Lauf eigentlich total unbedarft und spontan, als Lauffreund Jens Tekhaus während des Lauftreffs erzählte, er wolle dort 24 Stunden und 100 Meilen laufen. Daraus entstand die Idee in meinem wirren Kopf, dass ich ja in der 12h-Variante von 18:00 Uhr bis 06:00 Uhr starten könnte, um zum einen Jens in der Nacht etwas Beistand zu leisten und zum anderen selbst mal zu testen, wie lange und wieviele Kilometer ich selbst durchhalte. So begab es sich, dass ich mir zwischen den Bilstein Ultra Mitte April und dem Rennsteig Anfang Mai gedankenlos noch diese 12h gönnte.
Die Veranstaltung wird überwiegend als der 24h-Lauf am Seilersee bezeichnet – das mag zwar die Hauptdisziplin sein, wird dem ganzen aber nicht gerecht. Es gibt neben den 24h noch den bereits erwähnten 12er, einen 6h-Lauf am Samstag von 12:00 Uhr bis 18:00 Uhr in Einzel- und Staffelvarianten – uuuunnnddd: einen KIDSRUN, der viel mehr ist als eine Runde für die Kleinen, bevor Mama und/oder Papa laufen.
Aber zu alledem vielleicht einfach mehr im Verlauf meines folgenden Erlebnisberichtes:
Am Samstag mittag fuhr ich mit meinen beiden Töchtern nach Iserlohn um meine Startunterlagen für den Abend abzuholen, den Startern um 12:00 Uhr zuzujubeln und mit meinen Mädels ein paar Runden für den guten Zweck zu drehen.
Wir bejubelten die Starter, trafen ein paar Bekannte und holten meine Startunterlagen ab. Hier erkundigte ich mich auch, wo ich meine Mädels denn noch für den Kidslauf anmelden kann und uns wurde beschieden, dass wir dafür zu spät seien und das alles schon im Vorfeld gelaufen ist. Eieiei, was hatte ich da plötzlich für zwei lange Gesichter bei mir. Wir schauten den Läufern noch 1-2 Runden zu und als um 12:30 Uhr der Start der Kinder nicht unter der Brücke stattfand, dünkte mich schon, dass die Dame bei der Startnummernausgabe und ich uns wohl mißverstanden hatten. Wir begaben uns langsam Richtung Verpflegung und sahen plötzlich auch ganz viele kleine, gelbe Läufer, die parallel zur Strecke der Großen liefen. Und hier hatte dann auch jede der beteiligten Kitas und Schulen einen eigenen Stand und ich hakte spontan noch einmal nach, denn hier wurden gerade noch fleissig Meldelisten geschrieben und Shirts ausgegeben. „Natürlich können die Mädchen laufen, sie müssen sich nur entscheiden für welche Einrichtung…“ – Bombe! Tag für die Mädels gerettet. Die Dame mit der netten Auskunft gehörte zur Villa Kunterbunt – und welches Mädchen würde nicht für Pippi starten wollen?! Wir bekamen Startnummern und gegen eine kleine Spende gabs auch T-Shirts! Wenn die Girls glücklich sind, bin ich es auch. Und so drehten wir ein paar Runden, zu schade, dass ich diese Bonus-Km nicht auf den späteren Lauf anrechnen lassen konnte… 😉 – Nach Meinung der Großen mussten wir das Ganze natürlich viel zu früh abbrechen, aber die familiäre Nachmittagsplanung sah halt noch mehr vor.
Tatsächlich war hier um die Mittagszeit mit den ganzen Läufern und den vielen Kindern ein riesiger, großartiger Rummel. Viel mehr als ein normaler Kinderlauf!
Für mich folgte eine Unterbrechung bis zum späten Nachmittag. Gegen 17:00 Uhr fand ich mich wieder am See ein, die Kinder und die zugehörigen Stände waren verschwunden und es war wesentlich ruhiger. Zuerst wollte ich meine Wechselsachen einfach im Auto liegen lassen, aber da ich auf dem hinteren Parkplatz recht weit oben stand schwante mir, dass das zu einem späteren Zeitpunkt doch auch ein schwerer und langer Weg werden würde. Im Zielbereich standen dazu sehr viele Zelte und trotzdem war noch genügend Platz für weitere. Daher stellte ich mein vorsichtshalber mitgebrachtes Ein-Mann-zelt auch noch fix dazwischen auf und deponierte meinen halben Kleiderschrank und zwei Paar Schuhe darin.
Und dann war es auch schon so weit. 3 Minuten vor dem Start rauschte Jens durch den Start-/Zielbereich ohne mich wahrzunehmen – aber ich hatte ja genügend Zeit ihn irgendwann einzufangen. Sascha aka @nierslaeufer traf ich dann noch, uns blieb aber nur ganz wenig Zeit für einen kurzen Schnack. Die ersten paar Meter liefen wir noch gemeinsam, bevor ich mich auf machte um Jens einzuholen. Trotzdem immer schön, jemanden den man bislang nur via Twitter kannte live kennen zu lernen. Zu jemandem aufzuschließen, der bereits 6 Laufstunden in den Beinen hat ist garnicht so schwer, dauerte aber bei drei Minuten Vorsprung trotzdem bis zum Ende der ersten Runde.
Die ersten Stunden verliefen naturgemäß relativ leicht. Es ist hell, es sind viele Leute unterwegs, man trifft immer wieder bekannte Gesichter oder wechselt ein paar Worte mit Neuen. Jens Tekhaus und ich haben mittlerweile, mehr oder weniger regelmässig, eine ganze Reihe an langen Sonntagsläufen gemeinsam absolviert, so dass wir als eingespieltes Team durchgehen – und Gesprächsstoff für mehrere Stunden haben wir eigentlich immer.
Hatte ich im Vorfeld immer gesagt, dass mich keine zehn Pferde zu dieser Rundenlauferei kriegen, wurden nun aber die Vorteile deutlich. Bei einer Runde mit ~1,7km heisst das, dass man den Luxus hat, sich auch ohne Laufrucksack jederzeit verpflegen zu können. Dass man jederzeit kurze gegen lange Shirts, Regenjacken usw. tauschen kann. So ein Depotzelt direkt am Wegesrand ist schon lässig. Und nicht zuletzt: sollte ich nach acht Stunden mit wunden Füssen nicht mehr laufen können, war der Weg bis zum Ende nie länger als ein Kilometer. Bei einem langen Landschaftslauf heisst dass mitunter, dass man irgendwo mitten in der Pampas im Wald steht und im ärgsten Fall von dem Veranstalter umständlich eingesammelt werden muss. Für einen Test also ideal.
Ich hatte mir vorgenommen bei jeder zweiten Runde konsequent bei der Verpflegung zu stoppen, zu trinken und je nach Appetit ein Häppchen einzuwerfen. Die Verpflegung war erste Sahne. An Getränken gab es Tee, Iso, Cola, Bier, Fassbrause, Kaffee, Brühe und auch Malzbier meine ich ebenfalls gesehen zu haben. Bei den festen Brennstoffen sah es genauso gut aus: Kuchen, belegte Brote, Salzstangen, Chips, Rosinen und Nüsse, Schokolade, Maultaschen. Die Basics waren immer da und drumherum gab es immer wieder was neues zu probieren.
Mit Einbruch der Dunkelheit wurden zusätzlich zu der normalen Beleuchtung Teile der Strecke noch bunt illuminiert. Im Start-/Zielbereich stand ein großer Monitor, auf dem man im vorbeilaufen gut ablesen konnte, wieviele Runden und Kilometer man bisher gesammelt hatte und auch wo man in der Platzierung steht. Dazu lief in dem Bereich die ganze Zeit Musik.
Nach der Start-/Ziellinie kam die Meile mit den Zelten und Sanitätern, dann eine S-Kurve und der Verpflegungsstand am Stadioneingang. Hier gabs dann am fortgeschrittenen Abend mittels Gitarre und Stimme handgemachte Musik durch Stefan Weigelt und einen Kollegen. Das war schon große Klasse und sorgte für eine einzigartige Stimmung, darauf habe ich mich in jeder Runde gefreut! Stefan, dass hättet ihr gerne die ganze Nacht durch machen können… 🙂
Dies war dann auch der Bereich, in dem Jens und ich immer wieder auseinander liefen. Ich, die Bummeltante am Verpflegungsstand und Jens, der sich nie lange aufhalten wollte und dann schon weiterlief. Wenn ich in das Stadionrund danach einlief, sah ich ihn meist am anderen Ende gerade wieder raus laufen. Doch dank 6 Stunden frischerer Beine holte ich in der Regel innerhalb der Runde wieder auf.
Gegen Mitternacht gab es noch einen großen Auflauf vor dem TTdR-Zelt, Jens Vieler hatte Geburtstag. Ab 1-2 Uhr wurde es dann aber doch deutlich ruhiger, denn auch viele der 24h-Läufer legten eine Pause ein. Die folgenden zwei Stunden wurden schwer, mit jeder Runde wurden mir die Schrebergärten, die wir passierten sympathischer. Auf jeder Runde dachte ich mir, wie schön man jetzt auch mit Bier und Grill in so einem Garten sitzen könnte. Zu sagen, dass es mir immer schwerer fiel und ich ein Tief hatte wagte ich nicht. Jedesmal wenn ich zur Seite sah, sah ich Jens, der immer 6 Stunden mehr in den Beinen hatte – da hält man dann lieber die Klappe, statt zu jammern…
Der nächste Break kam, ich war gerade mal wieder dabei hinter Jens her zu „jagen“, als ein Laufkollege am entferntesten Ende des Sees, zwischen Schrebergärten und Wald, auf eine Asphaltkante trat und stürzte. Bei dem Stürzenden handelte es sich um einen echten Hünen, entsprechend schwer fiel der Sturz aus, bei dem (wie sich später herausstellte) ein Handgelenk brach. Zu dritt brachten wir den Mann wieder auf die Beine und ich begleitete ihn gehend die halbe Runde in den Zielbereich. Ein Handgelenksbruch ist zwar nicht schön, aber trotzdem Glück im Unglück gehabt. Zur weiteren Versorgung wurde der Läufer durch die Sanitäter vom Roten Kreuz ins nächste Krankenhaus gebracht – was man im übrigen nicht mit Alarm machen muss, liebe Kollegen…
Mir persönlich tat diese halbe Runde Gehen ziemlich gut und ich fühlte mich neu belebt, als ich wieder anlief. Um 3 Uhr kam mir ein ziemlich idiotischer Gedanke: „Nur noch drei Stunden!“ Nur noch… – da läuft einer durch die Dunkelheit und fängt plötzlich irre gackernd an zu lachen.
So ab etwa 4 Uhr kamen die ersten Läufer wieder dazu, man hörte hier und da Vögel zwitschern. Das erste Morgenlicht beflügelte jetzt weiter. Ich hütete mich aber weiterhin laut zu jubilieren, denn Jens baute mittlerweile deutlich ab. Bedeuteten die letzten 2 Stunden für mich Licht am Horizont (im wahrsten Sinne), hiess das für Jens noch weitere 8 Stunden. 8 Stunden, alleine schon eine Herausforderung – aber nach bereits 16 gelaufenen – für mich unvorstellbar…
Bei Jens ergab sich nun ein Paradox, so müde er war, wollte er aber doch nicht gehen. Ging er, sackte der Kreislauf ab und er schlief beim Gehen ein. Mittels Cola liess sich das aber halbwegs stabilisieren, zumindest für unsere restliche, gemeinsame Zeit.
Normalerweise knallt um 06:00 Uhr ein Schuß über den See, der das Ende verkündet. Alle betroffenen Läufer bleiben dann stehen und warten bis der Mann (oder die Frau) vorbeikommt und die Teilstrecke der letzten Runde vermessen hat. Während ich noch darüber nachgrübelte, wann der richtige Zeitpunkt wäre um eine Jacke aus dem Zelt zu greifen, um während des Wartens nicht zu sehr zu frieren, verkündete man aber, dass diese Vermessung der Reststrecke entfällt um eben jenes frieren zu verhindern. Ich fand, das war eine gute Idee, die mir sehr willkommen war.
Und so beendete ich etwa 4 Minuten vor dem offiziellen Ende das Rennen und verabschiedete mich von Jens.
12 Stunden durch die Nacht zu laufen war schon eine krasse Sache. Wie man dass 24 h machen will/kann erschließt sich mir nicht, allerdings dachte ich das auch schonmal von Marathonläufen und Ultras…
Es gab das übliche up & down, die Frage „Was mache ich eigentlich hier?“ bis zu dem sicheren Entschluß, so einen Unfug nicht wieder zu machen – aber auch das Aha-Erlebnis am Ende, dass da doch noch etwas geht und ich vielleicht auch doch noch weiter gekonnt hätte…
Nächstes Jahr wieder? Mal schauen…
Der Begriff Lauffest, den ich auf einer der Webseiten aufgefangen habe, ist auf jeden Fall für den Samstag maximal zutreffend, gefolgt von diesem Familientreffen der Ultraläufer. Die Entspanntheit dieser Läuferspezies begeistert mich jedesmal aufs Neue.
Als Resümee bleibt, dass Bernd Nuß, Stefan Weigelt und viele, viele Helfer mit viel Herzblut eine ebenso grandiose Leistung bringen, wie die Läufer selbst. So viele Gesichter sah ich beim Start der 24h-Läufer um 12:00 Uhr mittags und auch noch am folgenden Morgen.
Mein persönliches Fazit: mit knapp 86 km auf Platz 15 und in der AK 40 auf Platz 2 gelaufen, dazu die Erkenntnis, dass mehr drin gewesen wäre, wenn ich fauler Sack mal ein bisschen beissen könnte. Wobei ich aber an den 1. in meiner Altersklasse, Dirk Minnebusch von den Bittermärkern, nicht einmal ansatzweise herangekommen wäre. Wie der Mann konstant schnell und stoisch seine Runden zog – Hut ab!